Landtagsrede: Einknicken vor Neonazis fatal
Die Videoaufzeichnung meiner Landtagsrede finden Sie hier.
Na klar, die Geschichte der versuchten Verhinderung eines Konzerts der Punk-Band Feine Sahne Fischfilet im Bauhaus Dessau wegen vorgeblich staatsgefährdender Texte lässt sich prima als ostdeutsche Provinztheateraufführung schreiben. Gern auch als Stück über Allmachts- und Kontrollphantasien einzelner Kulturpolitiker. Oder doch lieber als Trauerspiel einer selbst erklärten Sachsen-Anhalt-Partei, die ein sehr persönliches Problem mit einer Band, noch viel mehr aber mit deren tätigem Antifaschismus hat?
Ich will nichts vom Vorgenannten zur Aufführung bringen. Die Vorgänge zwischen Magdeburg, Dessau und Mainz, die zur Absage der Aufzeichnung von ZDF@Bauhaus mit Feine Sahne Fischfilet führten, sprechen für sich. Dem Bauhaus ist durch die sachsen-anhaltische Stiftungsleitung nachhaltiger Schaden zugefügt worden. Ein Auftakt zum hundertjährigen Jubiläum einer Institution, die für Haltung, und eben nicht nur einen Stil steht, hätte schlechter nicht laufen können. Das Land Sachsen-Anhalt in Gestalt von Verantwortungsträgern, zu deren Jobbeschreibung die Verteidigung der Freiheit der Kunst gehört, hat sich – auf weltweiter Bühne – blamiert.
So sehr ich die Angst vor Neonazis und deren Bedrohungspotenzial nachfühlen kann, so wenig verstehe ich, wie man in der Leitung des Bauhaus Dessau zur Einschätzung kommt, man dürfe einer solchen Drohkulisse auch nur einen Millimeter nachgeben. Ein solches Nachgeben gegenüber Neonazis war in Sachsen-Anhalt schon 2006 falsch, als ein Schulkonzert von Konstantin Wecker in Halberstadt nach Druck der NPD durch den Landkreis verboten wurde. Im Fall des Bauhauses wirkt ein Einknicken vor Neonazis fatal – auch und gerade vor dem Hintergrund der eigenen Vertreibungs- und Exilgeschichte.
Einen polizeilichen Notstand, gar konkrete Gefahr für das Baudenkmal Bauhaus, gab es zu keiner Zeit. Die zuständige Polizeidirektion Ost hat mitgeteilt, dass sie selbstverständlich in der Lage gewesen wäre, das in einem geschlossenen Raum stattfindende Konzert einer Band mit 150 Zuschauer*innen abzusichern. Es wäre die Kapitulation unseres demokratischen Rechtsstaats, wenn dies nicht mehr gelänge.
Fassungslos lässt meine Fraktion die Begründung des Bauhaus’ Dessau zurück. Die Bauhaus-Kunst – die Ästhetik, die Form und das Material – wollte nie Kunst als „L’art pour l’art“ in einen „Heiligtum“ sein. Stattdessen: Ästhetisierung des Alltags als Programm. Die Protagonisten des Bauhaus’ zielten auf gesellschaftliche Relevanz ihrer Kunst. Und machten schnell die Erfahrung, dass dieser Ansatz sie in den Fokus der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung rückte.
Wer das verschweigt und das Bauhaus zum unpolitischen Architekten-Club zu verzwergen sucht, wie es das erste Statement der Stiftung unter Rückgriff auf ein historisches Zitat des Jahres 1920 tat, der verrät die Ideale des Bauhaus. Und er verkennt, dass auch der Versuch einer Flucht ins Unpolitische, das Bauhaus nicht hat vor Schließung und seine Mitglieder vor Verfolgung und Exil bewahren können.
Die einsame, die falsche Absage und ihr Hergang gehören ausgewertet. Es muss geklärt werden, wer – trotz klarer Vertragslage zwischen Bauhaus und dem ZDF, Stichwort „freie Wahl der Künstler“ – diese Absage betrieben hat. Und es muss herausgearbeitet werden, weshalb eine Direktorin – auf Druck von außen? – eine Entscheidung traf, die weder mit dem Stiftungsrat als Gremium noch mit den Mitarbeiter*innen oder anderen Sachwalter*innen des historischen Bauhauses rückgekoppelt war. Wer verantwortete die falschen, geschichtsvergessenen Statements und das bedauerliche Bedauern der Stiftung, das am zu lösenden Problem völlig vorbeiging und die Lage noch verschlimmerte?
Eine Sondersitzung des Stiftungsrates muss kurzfristig stattfinden, um zu klären, wie es im Bauhaus Dessau weiter geht. Personell und inhaltlich.
Die Geschichte der versuchten Verhinderung eines Konzerts von Feine Sahne Fischfilet lässt sich aber auch anders schreiben. Und diese andere Geschichte zeigt: Wir sind hier „noch nicht komplett im Arsch!“ In Dessau demonstrieren gestern mehr als 100 Studierende in einem Flashmob am Bauhaus, für die Freiheit der Kunst und fordern, dass das Konzert wie geplant am Bauhaus stattfinden kann. Und ja, Feine Sahne Fischfilet wird am 6. November 2018 in Dessau spielen. An einem Ort, der mutmaßlich mehr Zuschauer*innen beherbergen kann, als das Bauhaus. Das Anhaltische Theater hat in einer mutigen Entscheidung, seine zunächst ablehnende Position noch einmal überdacht und wird das Konzert ebenso unterstützen, wie die Stadt Dessau.Die sachsen-anhaltische Polizei wird das Notwendige tun, um Bedrohungen gegen Konzertbesucher*innen ebenso zu verhindern, wie sie es am 6. November rund um das Bauhaus getan hätte.
Sachsen-Anhalt, die Dessauer Zivilgesellschaft, wird sich von einem rechten Pöbel, der die Aufführungen ihm missliebiger Bands verhindern will, nicht einschüchtern lassen. Die Freiheit der Kunst beinhaltet, dass Bilder in ihren unterschiedlichen Ebenen gesehen und Texte in ihren Ambivalenzen gelesen werden können. Ambivalenzen zulassen zu können, ein Werk interpretieren zu dürfen, auch das macht Kunst erst frei. Wer aus den Songtexten einer Band 1:1 eine politische Botschaft erkennen will, muss sich fragen lassen, ob er den Wesenskern von Kunst wirklich durchdrungen und das künstlerische Prinzip von Ästhetisierung verstanden hat. In diesem Fall hätten wir es nur mit einem verkürzten Kunstverständnis zu tun.
Der neuen Rechten, wie sie uns im digitalen Mob im Netz oder in Gestalt des geifernden AfD-Stadtrats ins Dessau begegnet, will Kunst nicht verstehen. Sie spricht ihr die Ambivalenz nicht aus kurzfristig politischem Kalkül, sondern aus strukturellem Grund ab. Ich zitiere Jens Balzer, der das treffend in der ZEIT zusammengefasst hat: „So wie die Neuen Rechten die Politik ästhetisieren und mit kalkulierten Mehrdeutigkeiten durchsetzen – so wollen sie umgekehrt der Kunst jedes Recht auf Nicht-so-gemeint-sein entziehen. Es gehört zum Wesenskern dieser politischen Ideologie, dass sie die Hoheit über die Ambivalenzproduktion absolut für sich allein beansprucht. Ästhetische Gegenstände kommen in diesem Weltbild nur noch als Medium zur Verbreitung eindeutiger politischer Botschaften vor.“
Man muss die vielstimmige Empörung über die Entscheidung der Leiterin des Bauhaus Dessau vor diesem Hintergrund lesen, um zu verstehen, warum auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters von der CDU sich vernehmbar zu Wort meldet, „wenn der Druck der rechten Szene kulturelle Angebote unterbindet.“ Sie verweist zu recht auf die Aufgabe der Behörden in Sachsen-Anhalt, das Konzert zu ermöglichen und die Sicherheit zu gewährleisten – „auch wenn die Band nicht jedem gefällt. Niemals dürfe der Eindruck entstehen, dass der Druck der rechtsextremistischen Szene ausreicht, ein Konzert zu verhindern“.
Das Bauhaus Dessau hat im Jahr 2017 den Aufmarsch von Neonazis vor dem eigenen Haus beklagt und in diesen Tagen erneut Bezug darauf genommen und bedauert, es habe keine rechtliche Möglichkeit einer Gegenwehr gegeben. Es ist ein fatales Missverständnis, wenn aufgrund fehlender rechtlicher Möglichkeiten zum Verbot eines Naziaufmarsches durch Behörden keine anderen Formen des Widerstands gegen solche Aufmärsche auch nur in den Blick geraten. Die Verteidigung einer freien, demokratischen Gesellschaft, kann und darf nicht nur durch das Recht passieren, es greift zu kurz, auf den Staat zu warten, wenn Demokratie und Menschenrechte verteidigt werden müssen.
Der Kampf gegen Demokratieverächter und Menschenfeinde muss Anliegen aller Bürger*innen und der von ihnen getragenen Institutionen – auch des Bauhauses selbst – sein. Ich habe die Erwartung, dass das Bauhaus den freiheitlichen Geist, den es als Institution atmet, auch zur klaren Positionierung nutzt. Es reicht nicht, den Aufmarsch von Faschisten, einen Rechtsruck und die Spaltung der Gesellschaft durch völkische Rassisten zu beklagen. Es braucht die eigene Einmischung, den aufrechten Gang, das klare Nein. Es braucht auch die Einmischung oder bloße Standhaftigkeit des Bauhauses, wo Grundrechte missachtet und die Freiheit der Kunst bedroht werden.
Ein bequemes, der landesherrlichen Gewalt untergebenes Bauhaus braucht kein Mensch. Philipp Oswalt, Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau bis 2014, hat diese Erkenntnis gelebt. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Die Haltung und Standhaftigkeit, die er vom Bauhaus einforderte, fehlt uns heute.
Rückgrat und Orientierung werden auch die vom Bauhaus geplanten Gesprächsrunden nicht erbringen können, so lange es an eigener Haltung fehlt.
Es kann im nun beabsichtigten Streitgespräch nicht um Bauhaus, Politik und Extremismus gehen, es muss die Frage beantwortet werden, aus welchem Geist heraus das Bauhaus zur Verteidigung von Demokratie und Grundrechten wie der Kunstfreiheit agiert, wenn seine Leitung bis heute nicht verstanden hat, warum die Absage des Konzerts einer antifaschistischen Band im Bauhaus nach Protesten von Neonazis ein Problem darstellt.
Dass ein Nachlassverwalter des Bauhaus-Malers Fritz Kurh sich inzwischen genötigt sieht, den Verbleib seiner Leihgaben im Archiv in Dessau zu überdenken, zeigt, wie ernst die Lage ist. Es ist hohe Zeit, dass die Stiftung eine Kurskorrektur vornimmt, damit das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum in Sachsen-Anhalt nicht zu einem touristischen Event ohne Inhalt gerinnt.
Die Leitung der Stiftung Bauhaus Dessau hatte in den vergangenen Tagen nur wenige Verteidiger. Ein eher missglückter Versuch der Verteidigung gipfelte in der Frage, ob man heute denn nicht einmal mehr „Nein“ sagen dürfe.
Was heißt da „dürfen“, frage ich mich, und will zum Abschluss Konstantin Wecker zitieren:
Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
Wieder Nazi-Lieder johlen,
Über Juden Witze machen,
Über Menschenrechte lachen,
Wenn sie dann in lauten Tönen
Saufend ihrer Dummheit frönen,
Denn am Deutschen hinterm Tresen
Muss nun mal die Welt genesen,
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!