24. März 2023

„Die Lichter blieben an“

Interview in der Mitteldeutschen Zeitung vom 24.03.2023 mit Robert Briest

Die Grünen forcieren derzeit die Debatte um einen vorzeitigen Kohleausstieg 2030. Die hiesigen Bundestagsabgeordneten der Regierungspartner FDP und SPD, Ingo Bodtke und Katrin Budde, lehnten das gegenüber der MZ ab, weil sie um die Versorgungssicherheit fürchten. Der für Merseburg zuständige Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel erklärt im Gespräch mit Robert Briest, warum er die Sorge für unbegründet und den Ausstieg 2030 für richtig hält.

Abgeordnete Ihrer Koalitionspartner im Bund glauben nicht, dass die Stromversorgung 2030 ohne Kohle zu sichern sei. Glauben Sie das?

Sebastian Striegel: Das ist keine Glaubensfrage. Der aktuelle Bericht des Weltklimarates macht deutlich: Wir müssen jetzt aus den Fossilen raus, um überhaupt eine Chance auf eine lebenswerte Welt zu haben. Die 1,5-Grad-Grenze ist durch das Pariser Klimaabkommen verbindlich. Der Ausstieg aus der Kohle ist für Sachsen-Anhalt der Hebel, dieses Ziel zu erreichen.

Sie halten die Kohle für die Energieversorgung schon 2030 für verzichtbar?

Die Kohle wird durch den CO2-Zertifikatehandel bis 2030 ohnehin verdrängt, weil sie sich nicht mehr rechnet. Ein Kraftwerk wie Schkopau ist dann schlicht unrentabel. Gegen diese rein markt-getriebene Verdrängung der Kohle setzen wir die politische Gestaltung des Ausstiegs. Wir investieren in die Strukturen vor Ort. Wir wollen jetzt das Kraftwerk Schkopau für den Wasserstoffbetrieb umrüsten.

Die Kernfrage bleibt: Gelingt es dann ohne Kohlekraftwerke bei Dunkelflaute die Energieversorgung zu sichern?

Im Januar, mitten im Winter, ging das Kraftwerk Lippendorf in den Reservebetrieb, weil es sich nicht mehr rechnete. Die Lichter blieben an, die Bundesnetzagentur spricht jetzt sogar von einem „ruhigen Winter“. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren und Speichern ist die Versorgung 2030 sicher. Entscheidend ist aber: Wir brauchen noch mehr Energie als heute und Kohlenstoffquellen, um auch die Grundstoffe für die Chemische Industrie zu haben. Deshalb muss Sachsen-Anhalt den Ausbau der Erneuerbaren massiv vorantreiben.

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD) kritisierte am Donnerstag, dass der Grünen-Vorstoß die Leistungen in Ostdeutschland nicht hinreichend würdige, dass hier bereits viel mehr grüner Strom erzeugt werde als andernorts im Land, die Strompreise dennoch hoch seien. Stimmt das?

Wir erkennen die Lebensleistung unserer Leute in der Energieversorgung an. Da arbeiten Menschen, die das zum Teil schon vor der Wende organisiert und auch im letzten Jahr bravourös ihren Job erledigt haben. Wir trauen ihnen zu, Schkopau bis 2030 umzubauen und als H2-ready-Gaskraftwerk zu betreiben. Herrn Schneider zu folgen, würde dazu führen, dass entweder der Standort Schkopau aufgegeben wird oder die Haushalte über die Netzentgelte für den teuren Kohlestrom bezahlen müssen. Unsere Pläne werden den Weiterbetrieb von Schkopau sichern, die Netzentgelte dämpfen und den Standortvorteil der Erneuerbaren ausbauen.

Die Speicherung ist der Knackpunkt, denn rein bilanziell wird in Ostdeutschland jetzt schon mehr grüner Strom produziert, als insgesamt benötigt wird. Halt nur nicht immer. Im Energiepark Bad Lauchstädt soll die Energiespeicherung mit Wasserstoff erprobt werden. Allerdings wird dieses Pilotprojekt erst in der zweiten Hälfte der 2020er soweit sein. Wie soll es da gelingen, bis 2030 in Größenordnungen ausreichend Speicherkapazitäten aufzubauen?

Die installierte Speicherkapazität wächst derzeit exponentiell. Die technischen Möglichkeiten, von großen Wasserstoffreservoirs bis hin zu Heimspeichern und Nutzung der Elektrofahrzeugflotte, sind schon heute da. Es ist deshalb realistisch, bis 2030 die Kapazitäten aufzubauen. Ein Weg wird auch Power-to-x sein, also überschüssigen grünen Strom in andere Stoffe als Wasserstoff umzuwandeln. Es wird sicher kein leichter Sommerspaziergang, das umzusetzen. Aber wenn wir uns nach Vogelstraußmethode wegducken, folgt das böse Erwachen. Auch bei den Arbeitsplätzen!